PferdeSport International Ausgabe 22/2017
Pferde Sport International | 22.2017 34 ler strömt. Zwei dieser Flüsse würden die Rei- ter und Pferde auf ihrer Route durchqueren müssen, den Chisana und den Nabesna Ri- ver. Der Chisana River erwies sich Mitte Juni trotz riesiger Eisschollen noch durchaus als passierbar. Obwohl das Flussbett sehr breit war und sich in zahlreiche Kanäle teilte, war der Wasserspiegel angenehm niedrig. Doch die Situation änderte sich schlagartig, als sie nur vier Tage später den Nabesna River er- reichten. Dort erwartete sie kein Fluss, son- dern ein Meer! Mit der Hoffnung auf eine geringe Wassertiefe starteten sie einen er- sten Versuch der Überquerung dieser schi- er endlos scheinenden Wassermassen – und mussten das Unterfangen bereits kurze Zeit später entsetzt und tropfnass abbrechen: Denn kaum im eiskalten Wasser, hatten die Pferde schon keinen Boden mehr unter den Füßen und wurden von der starken Strö- mung mitgerissen. Zehn Tage dauerte ihr Versuch, ihren Weg fortzusetzen. Doch die Strömung war zu stark, das Wasser zu tief und vor allem viel zu kalt. Als Alternative bot sich nur noch die Möglichkeit an, die Pferde über den Glet- scher zu führen. Gleichwohl auch diese Op- tion musste nach neun Stunden Wanderung schließlich aufgegeben werden, da der Zu- gang zum Gletscher für die Pferde nicht zu verantworten war. Obwohl sich zwischen- zeitlich die Situation ein wenig zu entspan- nen schien, ließ unvermittelt wieder einset- zender Regen alle Hoffnungen begraben, die ursprünglich geplante Route über den Nabesna River hinweg fortsetzen zu kön- nen. Das erste Mal im Verlauf der 20 Jah- re währenden Reise musste Günter Wamser umkehren. Es gab nur einen Weg aus dem Gebiet, und der führte sie zurück über die grüne Grenze Kanadas. „Aufgeben und zu- rückgehen entspricht so gar nicht meiner Philosophie, entsprechend schwer fiel mir die Entscheidung“, so Günter Wamser nach seiner Ankunft in der „Zivilisation“, „aber wir haben einfach das Beste daraus gemacht.“ In nur acht Tagen hatten sie den Rückweg zurückgelegt, und wenige Tage später be- fanden sie sich bereits auf der anderen Sei- te des Nabesnas. Mittlerweile hatte die Jagdsaison in Alaska begonnen. In den er- sten Tagen begegneten ihnen zahlreiche Jäger in überdachten Allradfahrzeugen, die auf den Trails auf- und abfuhren. Sie war- teten darauf, dass ihnen ein Elch oder ein Karibu vor die Flinte lief. Um Konflikte mit den Jägern zu vermeiden, verließen die bei- den die bequemen Tracks und ritten wie- der quer durch die Wildnis Richtung Nord- westen. Und plötzlich trafen sie überall auf Karibus, teilweise in Herden von bis zu 30 Tieren. Auch Elchbullen mit imposanten Ge- weihen und Elchkühe mit ihren Kälbern bei Fuß wechselten oft nur wenige Meter ent- fernt ihren Kurs. Wölfe und Grizzly-Bären zeigten sich zumeist nur aus großer Entfer- nung, verschwanden sie doch zügig, nach- dem sie die Witterung der Menschen auf- genommen hatten. Auf ihrer letzten Etap- pe durch den Denali-Nationalpark stand jedoch plötzlich ein großer, silber-grauer Grizzly keine 25 Meter vor ihnen und be- äugte sie neugierig. Die Pferde ließen sich davon schon nicht mehr beeindrucken, aber Sonja Endlweber hatte zum ersten Mal auf dieser Reise ihr Bärenspray schussbereit in der Hand. Während der letzten Tage der Alaska-Rou- te fiel bereits erster Schnee, und ein Sturm fegte über die unberührte Wildnis. „Wie in Patagonien“, erinnerte sich Günter Wam- ser an den ungemütlichen Beginn seiner Reise in den kargen Steppen Argentiniens. Der Wind blieb ihnen auch auf dem letzten, steilen Anstieg treu, an dessen Gipfel einer Bergkette das Dörfchen Healy bereits zu er- kennen war. Sie kämpften sich durch den inzwischen ein- setzenden Regen vorwärts, überschritten den Grat – und waren sprachlos: Vor ihnen lag Healy, umrahmt von einem Regenbo- gen. „Willkommen am Ziel“, flüsterte Sonja Endlweber. Einen schöneren Empfang hät- ten sich die beiden Abenteuerreiter mit ih- ren vier Pferden und Hund Leni nicht wün- schen können. Text: Anke Klabunde Fotos: www.abenteuerreiter.de Zeltlager in Yukon/Kanada. Günter Wamser genießt mit seinem Pferd Rusty die Morgenstimmung. Mehrere Bücher haben Günter Wamser und Sonja Endlweber herausge- bracht, im Bild- und Erzählband „Abenteu- erreiter-Reiter“ ist ihre gesamte Reise von Feuer- land bis Alaska enthalten. Neu auf dem Markt ist ihre DVD „Feuerland bis Alaska“! Sonnenuntergang mit Schlaflager unter freiem Himmel in Colorado. Reportage
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