Fotos: Stefan Lafrentz

Kommentar zum Fall Kukuk

von Gabriele Pochhammer

Kaum hat sich die Erregung über die Abschwächung der so genannten „Blutregel“ in den sozialen Medien und anderswo etwas gelegt, wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Es geht um ein 34-Sekunden-Video, gepostet auf Instagram und TikTok, auf dem zu sehen ist, wie Springreiter-Olympiasieger Christian Kukuk die Stute Just Be Gentle beim Turnier in Verona auf dem Abreiteplatz mit blankem Schlaufzügel, also ohne normalen Zügel arbeitet. Mit Schlaufzügeln soll die Kopf- und Halshaltung und damit das gesamte Pferd besser zu kontrollieren sein, sie sind in der Trainingslehre höchst umstritten. Wie ein Flaschenzug ist damit der Pferdekopf mit dem Rumpf verbunden, der Reiter kann den Kopf also einfach zur Brust ziehen. Im Extremfall kommt es zur verbotenen „Rollkur“, bei der das Pferdmaul die Brust berührt.  Das passiert bei Kukuks Video nicht, die Pferdenase bleibt vor der Senkrechten. Aber anders als gewöhnlich, wenn der Schlaufzügel nur zusätzlich zum normalen Zügel wirkt, daher der Name „Hilfszügel“, reitet Kukuk auf blankem Schlaufzügel. Der Flaschenzug ist also immer im Einsatz. Große Meister wie Otto Lörke und Willi Schulheis nannten ihn „Rasiermesser in der Hand eines Affen“. Damit ist Christian Kukuk natürlich nicht gemeint, er hat nicht erst in Paris bewiesen, dass er ein feinfühliger, genialer Reiter ist. Aber selbst er gibt mit Just Be Gentle kein gutes Bild ab. Die Stute hoppelt im Fast-Viertakt-Galopp auf dem Zirkel, verspannt, völlig auf der Vorhand und mit zur Seite gezogenem Kopf. Der Reiter ist eine Karikatur des sonst so elegant sitzenden Kukuk. Die Hände, teilweise in Schulterhöhe, ziehen abwechselnd rechts und links. „Das widerspricht jeder vernünftigen Ausbildung“, sagt Reitmeister Martin Plewa, langjähriger Bundestrainer der deutschen Vielseitigkeitsreiter. „Das Pferd entwickelt die falschen Muskeln und kann sich nicht loslassen, wie man auf dem Video sieht.“  Bei einigen Trabtritten, die auf den Galopp folgen, ist die Stute deutlich lahm, vielleicht das Resultat von Balanceverlust, die so genannte Zügellahmheit. Just Be Gentle hatte zwar den Routine-Vetcheck problemlos passiert, aber den Stewards hätte es gut zu Gesicht gestanden, eine kurze Nachuntersuchung zu veranlassen. Just Be Gentle gilt als heftig, schwierig und hochbegabt. Im weiteren Verlauf des Turniers wurde sie Dritte im Großen Preis.

Es gibt keine Regel, gegen die Kukuk verstoßen hat. Reiterpräsident Martin Richenhagen und FN-Sportchef Dennis Peiler übten milde Schelte. „Nicht akzeptabel“, sagten sie. Er nehme die Kritik sehr ernst, wird Kukuk zitiert.  Immerhin. Aber das reicht nicht. Offenbar haben weder er noch etliche seiner Springreiterkollegen begriffen, dass sie unter Beobachtung stehen. Natürlich darf populistisches Empörungsgeschrei nicht die Richtschnur für sportliche Entscheidungen sein. Bei Just Be Gentle waren weder Blut noch Peitschenstriemen zu sehen, aber Schmerz und Unbehagen kann man einem Pferd auch auf andere, weniger sichtbare Weise zufügen. Es passiert manchmal ungewollt, aus mangelndem reiterlichem Können. Das kann Kukuk nicht für sich in Anspruch nehmen.  Er hat solche Methoden nicht nötig. Und es gibt natürlich zu denken, warum ein Pferd, das bereits für Deutschland an einem Championat erfolgreich teilgenommen hat, Mannschaftsbronze der EM in A Coruna 2025, mit solchen drastischen Methoden trainiert werden muss. Man denkt doch, das seien alles perfekt ausgebildete Springpferde, die sich auf diesem Niveau bewegen. Gerade für viele junge Menschen war Kukuk ein Modellathlet: Jung, sympathisch, vor allem aber ein toller Reiter, der immer auf der Seite seines Pferdes ist. So kommt er jedenfalls vor den TV-Kameras rüber. Und jetzt dies. Ein Teil der Fans wird enttäuscht sein, ein anderer wird sagen, das mach ich jetzt auch, scheint ja zu funktionieren. Das ist die schlimmere Folge. Die noch schlimmere: Das Image der Reiter, insbesondere der Springreiter, hat mal wieder Flecken bekommen. Egal, ob aus Dummheit, Ignoranz, Chuzpe oder Gleichgültigkeit: Solche Bilder wiegen schwer. Auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) interessiert sich für das Pferdewohl, wenn es darüber entscheidet, wer bleibt und wer gehen muss. Offenbar hat die Reiterszene den Schuss noch nicht gehört. 

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