Das war’s mal wieder, die Dressur-Europameisterschaft in Crozet ist Geschichte, kaum war das letzte Pferd bei der Siegerehrung aus der Arena galoppiert, rückten die Trupps an, die alles wieder abbauten. Ein LKW nach dem anderen rollte vom Stallgelände, meist die kleinere Version für nur zwei Pferde. Es hatte jeder nur ein Pferd dabei, ein Rahmenprogamm bis auf eine Show des Quadre Noir am Samstagabend gab es ja nicht. Auch wir Journalisten mussten uns beeilen, rechtzeitig aus dem kleinen Mixed Zone-Zelt zu verschwinden, wo wir die Kür teilweise verfolgen mussten. Die Deadlines waren nicht zu schaffen, wenn man erst den Berg zur Pressestelle hochmusste, um da zu schreiben. Ich saß noch an den letzten Zeilen, da rissen die eifrigen Arbeiter schon die Stromkabel aus der Steckdose und bauten das Fernsehen ab. Um ein Haar hätten sie mir auch noch das W-Lan gekappt. Aber das kennt man ja. Am Ende eines Turniers muss man möglichst schnell verschwinden, sonst fliegt man mit in den Müllcontainer.
Der Ausgang war keine Überraschung mehr, hauchdünner Sieg des Belgiers Justin Verboomen auf Zonik Plus (89,964) vor Cathrine Laudrup-Dufour auf Freestyle (89,821) und Isabell Werth auf Wendy (88,046). Alle drei Medaillenritte waren mit Fehlern behaftet, Isabells noch am wenigsten, zwei kleine Versehen in den Galoppwechseln. Kein Pferd piaffierte und passagierte besser und zeigte bessere Übergänge, kein Paar zeigte einen besseren Schritt, aber die Richter gaben dem eleganten belgischen Paar Zonik Plus unter Justin Verbommen und der elastischen und zufriedenen Freestyle unter Cathrine Laurup-Dufour den Vorzug. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, als ob hier zwei Stars aufgebaut werden sollten, nach dem Motto „Gut für den Sport, wir brauchen mal was Neues.“ Dabei dachte ich immer, die Richter sollten bewerten, was sie vor sich sehen, das wäre im Zweifel ja auch das Beste für den Sport. „Wir konnten alle die Vibes spüren, die nach Veränderung streben“, sagte Isabell Werth nach ihrem Ritt und es klang ein bisschen frustriert. Wenn sie es war, ließ sie sich bei der Pressekonferenz nichts anmerken. Justin müsse noch ein bisschen üben, frotzelte sie und meinte das Champagnerbad bei der Siegerehrung, wo er noch etwas steif daherkam.
Hinter der Britin Becky Moody auf Jagerbomb wurde Fredric Wandres mit einem schönen harmonischen Ritt auf Bluetooth Fünfter, er war „super happy“ über sein Pferd. Katharina Hemmer auf Denoix kamen über Platz elf nicht hinaus, am Anfang der Aufgabe verhedderte sich der Fuchshengst aus Übereifer. „Es war erst unsere fünfte Kür, wir haben einfach noch nicht so viel Erfahrung.“, sagte sie am Ende. „Ich hatte mich erstmal auf Grand Prix und Special fokussiert.“ Aber sie hat bei ihrem ersten internationalen Championat gezeigt, dass sie sehr wohl auch in Einzelmedaillen-Nähe reiten kann.
Sein vielleicht letztes Championat ritt Carl Hester auf dem 15-jährigen KWPN-Hengst Fame, Platz sieben mit 81,029 Punkten. Man wundert sich oft, wofür der Braune, den Schönheit wirklich nicht drückt, der eigentlich immer zu eng geht und oft den Unterhals herausdrückt, so viele Punkte bekommt. Die deutsche Richterin Katrina Wüst hat es mir erklärt: Carl reitet immer punktgenau dahin, wo er hinreiten soll, nicht eine Pferdelänge davor oder dahinter. Seine Piaffe hat zehn bis zwölf Tritte, nicht neun oder 13, er lässt einfach keinen Punkt liegen und letztlich verfüge Fame über einen sehr gute Grundschwung. Ja dann…Zur WM nach Aachen 2025 wolle er nicht mehr, sagte er mit am Rande der EM. Er will sein Trainingszentrum verkaufen, sich was Kleineres suchen. „Am liebsten nur mit vier Boxen.“ Vor allem will er weiter Reiter und Pferde coachen. Carl Hester ist nicht nur in England ungeheuer populär, immer freundlich, immer einen Witz in der Hosentasche. Er ist der Mann, der in seiner Heimat den Schalter in der Dressur umgelegt hat, der sie von einer Freizeitbeschäftigung für silberlockige Damen im letzten Lebensdrittel zu einer ernstzunehmenden Sportdisziplin verwandelt hat. Er hat auch Doppelolympiasiegerin Charlotte Dujardin und Valegro groß gemacht und unter ihrem Skandal, der kurz vor den Olympischen Spielen publik wurde, mitgelitten. „Das war keine Dressur“, sagt er zu den Bildern, auf denen sie vom Boden aus wild auf ein Pferd einprügelt. „Das war schrecklich“. Ihre einjährige FEI-Sperre ist inzwischen abgelaufen, sie darf wieder starten. „Aber sie ist durch die Hölle gegangen, sie hat eine zweite Chance verdient,“ sagt Carl. Zurzeit trainiert er sie wieder – auch eine Form von Größe und Loyalität.