Minimalziel erreicht, konnte Bundestrainer Otto Becker am Ende des Tages mehr oder weniger zufrieden verkünden. Bronzemedaille fürs deutsche EM-Team, ganz knapp hinter Belgiern und Briten, und Richard Vogel auf United Touch, bisher ohne einen einzigen Abwurf, mit 0,01 Punkten weiter in der Pole Position für den Kampf um den Einzeltitel morgen. Einmal durchatmen und heute alle mal runterkommen, war die einheitliche Devise. Denn es war bisher nervenzerfetzend knapp und wird es morgen bleiben. Ein einziger Abwurf schleudert einen Reiter aus der Spitzengruppe ins Nirwana. So ging es gestern Marcus Ehning, dessen Coolio, der hier ein sehr gutes Turnier sprang, durch seinen ersten Abwurf dieser EM auf den 28. Platz zurückfiel. Christian Kukuk mit Just be Gentle ging es ähnlich, er liegt jetzt nach einem Abwurf mit 5,32 Punkten auf Platz 20. Für die zweite Nationenpreisrunde gestern hatte er die Zäumung ausgetauscht, ritt mit Hackamore. „Das macht die Stute zwar etwas schwieriger zu steuern, aber ich ein besseres Gefühl, weil ich etwas mehr in der Hand habe und sie mich mehr mitnimmt.“ Die gebisslose Zäumung wird voraussichtlich auch morgen die Wahl der Stunde sein. Sophie Hinners blieb mit einem sehr konzentrierten Ritt, bei dem sie ihren zuweilen guckigen Schimmel Iron Dames my Prins schön bei sich behielt, mit 3,21 Punkten auf Platz 11, weniger als einen Springfehler vom Lebensgefährten an der Spitze weg.
Keine Überraschung und verdient: die Belgier
Uns Deutschen lacht ja das Herz, wenn wir auf den Tribünen die schwarz-rot-goldenen Farben entdecken, aber leider waren sie diesmal verkehrt herum gestreift. Man hatte den Eindruck, halb Belgien hatte sich ins Auto gesetzt, durch den Ferienverkehr mit stundenlangen Staus rund um Paris gekämpft, um den Triumph ihrer Reiter, den EM-Mannschaftssieg, live mitzuerleben. Sie wurden nicht enttäuscht, die Siegesfreude laut und fröhlich. Da wurden Fahnen geschwenkt, Hüte von den Köpfen gerissen und auf der Tribüne auf und ab gehopst. Es sei ihnen und ihrem tollen Team gegönnt.
Der Dirigent des so erfolgreichen belgischen Teams ist seit neun Jahren Peter Weinberg, früher Top-Reiter, Vorstandsmitglied des Aachen-Laurensberger Rennvereins (ALRV) und ein richtiges Kind des Dreiländerecks. „Bei mir zuhause war die eine Straßenseite deutsch, die andere holländisch und Belgien war nur 500 Meter weiter“, erzählt er. Seit Jahren schafft er es, aus den Individualisten im Nachbarland ein Team zu schmieden, setzt auf Kooperation, aber am Ende machen sie alle, was er will. Die besten Pferde werden nicht verkauft, auch weil es sich zum Teil um Deckhengste der hochstehenden belgischen Pferdezucht handelt. „Ich sage den Hengsthaltern, wenn ihr den besten Hengst verkauft, dann kriegen die anderen auch keine Stuten mehr“, sagt Weinberg. Weit über 1000 Stuten soll der elfjährige Catoki-Sohn Ermitage Kaline im vergangenen Jahr gedeckt haben. Der Fuchshengst ist eine der auffälligsten Erscheinungen dieser EM: bildschön, offenbar das ideale Reitpferd und das perfekte Springpferd. „Für die EM musste er natürlich für eine Zeit aus dem Deckgeschäft raus“, sagt Weinberg. „Ab er das kann er ja per TG im Herbst wieder aufholen.“ Den Namen seines Reiters Gilles Thomas kannten vor ein paar Monaten nicht mal die belgischen Funktionäre. Aber Weinberg hatte den 27-Jährigen schon lange auf der Liste und setzte seine Nominierung durch, wie auch die des 24-jährigen Thibeau Spits, das zweite neue Gesicht im belgischen Team. Ein Zeitfehler des Rapphengstes Impress K van‘t Kattenheye Z, v. Indoktro, kostete den jungen Mann seinen Platz in der Spitzengruppe. Ergänzt wurde das Team durch Nicola Phillipaerts auf Kantanga v/h Dingeshof, 5. bisher. (Wenn mir eines bei den Belgiern auf die Nerven geht, sind es die ellenlangen Namen ihrer Pferde.) Pieter De Vos (39) auf der selbstgezogenen zehnjährigen Cornet Obolensky-Tochter Casual war diesmal der Senior. „Bin ich gar nicht gewohnt, der Älteste zu sein,“ sagte er.
Spätabends tauchte das ganze Team plötzlich mitsamt seinen Goldmedaillen in unserem Hotel auf, die Reiter noch in weißen Hosen, und ließ sich von den Fans, sprich Pferdebesitzern, Züchtern, Sponsoren und Adabeis, hochleben, die hatten schon kräftig vorgefeiert. „Das ist das Schöne bei uns“, sagte Peter Weinberg, „Wir feiern mit allen zusammen, ganz locker. Und unser Präsident ist auch da, der hat ja seine Kreditkarte dabei.“ (Nur als kleine Anregung, Herr Richenhagen.)